Rabenwind
Poesie von Sascha Besier

RABENWIND-BLOG

Blog von Sascha Besier: Gedichte, Kurzgeschichten, Aphorismen, Bonmots und mehr. Ich freue mich über einen Kommentar.


2019-11-15

Phänomenologie des Todes

Es kommt für jeden mal die Stund’,
wo klopft der Tod, genannt Gevatter,
mit Knochenhand ans Fenstergatter,
um mitzuteilen: „Nun geht’s rund,
bist alt genug, du blöder Hund!“
 
So pochte er, vermaledeit,
denn auch bei mir, um zu verkünden:
„Nun hopp ins Kistchen unter Linden,
der Jux ist rum, für dich ist’s Zeit!“
Doch dafür war ich nicht bereit.
 
Da sprach ich zu dem Sensenmann:
„Das kann nicht sein, mein lieber Schnitter,
ziert meine Haut doch fast kein Knitter –
denn man versprach, ich wär’ nicht dran,
solang ich glatt bin und noch kann.“
 
„Wie das? Wer hat dir dies gesagt?“
wollt’ er voll Ingrimm von mir wissen.
Die Antwort log ich schnell, beflissen:
„Dein Partner war’s, der oben tagt,
der Gott, der brave Seelen jagt.“
 
Tod grinste darauf voller Hohn.
„Du kleiner Mensch willst mich wohl foppen,
durch Lügen meine Sense stoppen?
Dein Gott, er ist bloß Illusion –
nur ich, der Tod, sitz’ auf dem Thron.
 
Ihr Menschlein habt so viel gedacht,
erforscht, gesucht und auch erfunden,
um mir zu trotzen, euch gewunden;
und nichts hat euch all das gebracht,
weil doch der Geist das Leben macht.“
 
„Wohlan“, sprach ich, „wenn das so ist,
verrat mir, dunkler Sensenschwinger,
wenn also Geist der Weltenbringer,
bringt dich dies nicht in innren Zwist,
ob du denn wirklich wirklich bist?“
 
„Oh, Malefiz!“ fuhr er herum,
„Du denkst, dass ich dies Spiel verliere,
doch weiß ich, dass ich existiere –
denn ich, der Tod, bin ja nicht dumm,
ich weiß: Cogito ergo sum!“
 
„Das ist ja wirklich kurios,
Gevatter Tod, ein großer Denker!“
verhöhnte ich den Sensenlenker.
„Doch eins noch vor dem Todesstoß,
’ne klitzekleine Frage bloß:
 
Da Geist mir also schuf den Gott,
durch Sinne, Denken und den Willen,
bist du nicht gleichfalls aus dem stillen,
doch sinnerfüllten Geistkompott,
somit sein Sklave, lieber Tod?“
 
Da sprang der Schnitter wild umher.
„Wenn ich denn also mit verrecke,
brächt’ ich dich arglos um die Ecke,
gebrauch’ die Sense ich nicht mehr.“
Und ich sprach artig: „Danke sehr.“
 
© Sascha Besier

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