Blog von Sascha Besier: Gedichte, Kurzgeschichten, Aphorismen, Bonmots und mehr. Ich freue mich über einen Kommentar.
2020-12-06
Da mich diese Hörspielserie begeistert und diese Kunstform nur ein Nischendasein fristet oder manchen als Einschlafhilfe dient, hat es mich sozusagen gedrängt, eine Rezi zu schreiben :-)
Die schwarze Sonne – ein Gesamtkunstwerk
Wenn man Günter Merlaus Hörspielserie „Die schwarze Sonne“ beurteilen will, geht das meiner Ansicht nach nur als Gesamtpaket. Deshalb rezensiere ich an dieser Stelle auch nicht die einzelnen Folgen, denn ich sehe alles als Bausteine eines Gebäudes oder einer Kathedrale – wenn man so will.
Alles beginnt mit einer Adaption der Bram Stoker Geschichte „Das Schloss des weißen Lindwurms“ (bzw. hier: Das Schloss der Schlange). Meint man anfangs noch, eine bloße Hörspielversion dieser Geschichte zu hören, so wird schon im Verlauf der Folge klar, dass man hier doch mehr und anderes zu hören bekommt. Nicht nur, dass es wesentlich düsterer als bei Bram Stoker zugeht, nein, hier werden auch Details aus Geschichte und Mythos aufgerollt, die so in der Ursprungsstory nicht vorhanden waren. Stoker wird quasi lediglich genutzt, um das Setting des ausgehenden 19. Jahrhunderts sowie die Charaktere und deren Kennenlernen festzulegen. Bis zum Ende der Folge hin offenbaren sich dem Hörer Zeichen, die auf ein weit größeres als das zuvor geglaubte Geheimnis hinweisen. Stilistisch sind hier schon viele Elemente vorhanden, welche die Erzählweise der gesamten Reihe ausmachen:
- Protagonisten sind zugleich Erzähler, deren innere Monologe während der laufenden Handlung stattfinden, was jedoch nicht störend, sondern sehr harmonisch aufeinander abgestimmt ist.
- Ein fast durchgängiger Musikteppich, der das Geschehen entweder sehr gut unterstreicht oder auch gerne kontrastiert.
- Assoziatives Wechseln von Erzählebenen, das den Montagerhythmen beim Film ähnelt (Pacing, Timing etc.) und dadurch im Hörer sehr suggestiv wirkt.
- Hervorragend agierende Schauspieler, die wirklich und äußerst lebendig miteinander zu spielen scheinen (was ja nicht in allen Hörspielen auf diesem Niveau gegeben ist).
- Ausgefeilte Dialoge und Monologe, die nicht unnütz und schwatzhaft daherkommen.
Ein typisches Erzählelement der schwarzen Sonne kommt in dieser ersten Folge jedoch noch nicht vor: die kreisende Erzählstruktur, in der man als Hörer quasi durch Raum und Zeit geführt wird, um die dargebotenen Handlungspuzzle zu einem Bild zusammenzusetzen. Immerhin aber wird sie bereits angedeutet.
Durch dieses fehlende und für die Sonne so typische Element, können Hörer der ersten Folge auf eine falsche Fährte geführt werden, wenn es darum geht, wo die Reise mit der Sonne hingeht. Denn ab Folge 2 und mehr noch in Folge 3 wird eben dieses Erzählelement das Hörerlebnis grundlegend verändern. So werden vielleicht manche, die auf eine ähnlich stringente Handlung wie noch in der ersten Folge hofften, enttäuscht werden. Und diejenigen, die immer so viel von der Komplexität und Tiefgründigkeit der Sonne gehört haben und eben darauf hofften, könnten das vielleicht noch nicht erkennen.
Günter Merlau sagte dazu in einem Interview, er würde dies heutzutage anders machen und eben gleich in Folge 1 mit der kreisenden Erzählstruktur beginnen. Damals hätte er sich selbst noch hineinfinden müssen. Ich verstehe das künstlerische Anliegen, aber ich bin dennoch auf der anderen Seite froh, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. Denn man kann es auch so sehen, dass eben in dieser ersten Folge durch die „herkömmlichere“ Erzählstruktur eine gute Bindung zu den Hauptprotagonisten entstanden ist und der Hörer langsam an das anspruchsvollere Erzählen gewöhnt wird. Eben ganz so, wie Merlau sich als Erzähler daran gewöhnt hat.
Was für eine Geschichte erwartet einen aber nach der ersten Folge?
Diese Frage ohne Spoiler zu beantworten, ist fast unmöglich. Auf jeden Fall wird der Handlungsbogen, der anfangs lediglich um die Protagonisten Adam Salton und Nathaniel de Salis kreist, wesentlich erweitert. Die Reise geht in die Vergangenheit zu Adams Vater, in die Zukunft zu dem BND-Agenten Berger, die Nazis sind mit von der Partie usw. Die verschiedenen Zeitebenen bilden alle Collagen der Handlung, die im Hörer ein Ganzes bilden sollen. Man trifft bekannte Personen wie Jules Verne, Aleister Crowley, Jack the Ripper und auch Bram Stoker (der ja die lustigerweise „Das Schloss des weißen Lindwurms“ schrieb) oder Nikola Tesla.
Hierbei wird schnell klar, dass das große, in Folge 1 angedeutete Geheimnis, jenes ist, was Philosophen, Naturwissenschaftler, Theologen und Esoteriker von Anbeginn der Zeiten beschäftigt: Was zur Hölle steckt hinter all dem? Womit begann alles?
Und wenn man weiter fragen möchte und dabei die kreisende Erzählstruktur im Sinn hat: Gibt es einen Anfang und ein Ende oder ist dies ein und dasselbe?
Weiterhin werden alle, die Freude an Philosophie, Geschichte, Mythologie, Okkultismus, Musik, Mathematik, Physik und Verschwörungstheorien haben, ja eben an allem, was man im Leben und in der Welt entdecken kann, bestens bedient. Günter Merlau scheinen diese Dinge jedenfalls große Freude zu bereiten und so webt er all das in seine große Geschichte mit ein. Es ist also gar nicht so einfach zu beantworten, worum sich die Handlung der Sonne dreht, weil man mit so vielen Zeit- und Erlebnisebenen konfrontiert wird, die aber zumindest alle verknüpft sind.
Vorranging, so könnte man sagen, wenn man es darauf herunterbrechen will, geht es um die Erlebnisse von Adam Salton und Nathaniel de Salis. Die beiden treffen sich 1885 bei Adams Rückkehr nach England, der nach dem Tod seiner Eltern aus Australien in die Heimat zu seinem Onkel nach Lesser Hill zurückkehrt. Die beiden werden in einen Sog grauenhafter Ereignisse gezogen und für Adam wird langsam klar, dass sein Vater mit gutem Grund ausgewandert ist und dass die Vergangenheit viele dunkle Geheimnisse birgt. Nathaniel wird dabei für ihn eine Art Mentor und Ersatzvater, den neben seiner Weisheit ebenfalls ein Geheimnis zu umgeben scheint.
Hier noch weiter auf die Handlung einzugehen – so schön es wäre – würde meiner Ansicht nach den Spaß verderben, sie selbst zu erfahren. Im Verlauf der Serie wird man auf einiges an Dramatik, unerwartete Wendungen und aufgedeckte sowie neue Geheimnisse stoßen.
Die Sonne musste ja leider von 2010 bis 2016 eine Zwangspause nehmen, ausgerechnet, als nur noch zwei der zwölf geplanten Folgen fehlten. Maritim und Günter Merlau sei Dank wurde sie nun doch mit sogar 13 Folgen abgeschlossen. Ich denke, alle fragten sich, so wie ich, ob es Günter Merlau gelingt, nach einer so langen Pause, das richtige Händchen für eine Fortsetzung zu finden, die nicht wie ein Bruch mit dem Vorangegangenen wirkt. Und natürlich auch, ob das Ende der vielschichtigen Erzählung zufriedenstellend sein würde.
Ich persönlich kann nur alle Fragen mit einem Ja beantworten. Die Geschichte wurde zu einem großartigen Ende geführt, was sowohl viele Fragen beantwortet, aber auch genügend offen lässt, um das Mysterium eben nicht zu zerstören, und das Schicksal der Figuren emotional befriedigend abschließt. Es mag zwar nicht ganz zu verhehlen sein, dass Günter Merlau sich in den letzten Jahren anscheinend intensiv mit gewissen Dingen beschäftigt hat, die er stark in die Abschlussfolgen miteinfließen und sie somit ein klein wenig anders als die vorangegangenen wirken lässt, dennoch ist das Ergebnis dabei nicht unrund. Man kann also wirklich mit allem zufrieden sein und den Hut ziehen vor diesem Kunststück.
Und wer dabei – so wie ich – noch nicht genug hat, der darf sich tatsächlich auf eine zweite Staffel von „Die schwarze Sonne“ freuen, die mit Folge 14 „Dem Tode nah“ begonnen hat und aktuell bei Folge 21 angekommen ist.
Chapeau für diese Hörspielserie, diese einzigartige Erzählung! Wäre dies eine Fernsehserie geworden, so bin ich sicher, sie hätte hier Kultstatus erlangt und wäre weit bekannter als es eine Hörspielserie je sein wird.
Admin - 12:29:15 @ Rezensionen | Kommentar hinzufügen
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