Blog von Sascha Besier: Gedichte, Kurzgeschichten, Aphorismen, Bonmots und mehr. Ich freue mich über einen Kommentar.
2021-01-16
Vor scheinbar einer Ewigkeit flog sie zusammen mit ihrer Mutter und ihren Angehörigen in deren Hyperraumkreuzer los. Ihr Heimatplanet war durch die jahrtausendelange Ausbeutung der Überbevölkerung wegen dem Untergang geweiht, wenn keine Umsiedlungen vorgenommen wurden; und so waren fast alle gezwungen, sich eine neue Heimat zu suchen. Die Wissenschaft hatte zwar durch die fortschrittliche Raumfahrttechnik inzwischen einige neue, zur Besiedlung geeignete Planeten ausfindig machen können, aber ihre Mutter wollte sich mit ihrem Stadtstaat lieber ein unberührteres Fleckchen suchen. Sie hatte genug von der Überzivilisation, wie sie stets sagte, und wollte zusammen mit ihren Angehörigen eine kleine Kolonie auf Urr-Azzarriih gründen, um wieder so zu leben, wie es die Ahnen vor Jahrtausenden taten.
Also machte sich ihre Mutter mit ihr und all ihren Zugehörigen vor vielen Jahren auf den Weg, die neue Welt zu besiedeln. Schließlich war Mutter eine Königin und somit prädestiniert dafür.
Doch leider gab es während des Fluges mehrere Defekte, wodurch weder die Sensoren verlässliche Werte anzeigten noch die Position auf der interstellaren Karte eine Sicherheit darstellte. Sie befanden sich im Blindflug. Ta’ Rrrishzz-Orrh war noch sehr jung und verstand nicht wirklich, worüber Mutter und die anderen diskutierten. Eines jedoch stand fest, sie mussten auf einem unbekannten Planeten notlanden.
Als Ta’ Rrrishzz-Orrh aus dem Fenster des Raumkreuzers sah, befanden sie sich bereits im Landeanflug. Alles begann zu erzittern und alle redeten wild durcheinander. Draußen sah sie eine dichte Wolkendecke, die undurchdringlich schien. Ständig dieses bedrohliche Ruckeln. Außerdem wurde es unerträglich heiß.
Plötzlich stürzte ihre Mutter auf sie zu, packte sie und schnallte sie fest auf einen Sitz. »Schnall dich nicht wieder los! Wir haben Probleme das Schiff unter Kontrolle zu halten, aber Hazzrr-Irrh wird die Notlandung schon schaffen. Also hab keine Angst, mein Kind. Nur schnall dich auf keinen Fall ab, hörst du? Ich muss jetzt wieder ins Cockpit, um Hazzrr-Irrh zu helfen.«
Ta’ Rrrishzz-Orrh wurde daraufhin, obwohl Mutter Vater hinsichtlich der Notlandung zu vertrauen schien, äußerst nervös. Irgendeine dunkle Vorahnung und unergründbare Angst beschlich sie. Zum Glück hatte Mutter sie auf einen Sitz geschnallt, wo man aus dem Fenster blicken konnte, denn es hätte ihr weit mehr Unbehagen bereitet, nicht zu wissen, was draußen vorgeht und stattdessen nur dieses Ruckeln zu verspüren. Sie wusste zwar, es brächte wohl kaum echte Beruhigung, dennoch blickte sie wieder aus dem Fenster.
Inzwischen waren sie durch die dichte Wolkendecke hindurch. Jetzt sah sie eine riesige weiße Fläche, auf die das Raumschiff zusteuerte. Konnte das Land sein? Sie erinnerte sich, in der Schule einmal von Eis und Schnee gehört zu haben und dass es wohl auch auf ihrem Heimatplaneten beides einmal gegeben haben sollte. Flogen sie hier also auf einen Planeten zu, der vollkommen aus Eis bestand? Sie fürchtete sich sehr davor, denn sie wusste genau, dass es für sie und alle anderen den Tod bedeuten würde.
Zumindest sank nun auch die Temperatur wieder.
Dafür rüttelte jetzt der Raumkreuzer das Mädchen ordentlich durch. Die Erschütterungen wurden immer heftiger. Hätte ihre Mutter sie nicht festgeschnallt, wäre sie wohl kreuz und quer durch die Kabine geschleudert worden. Ta’ Rrrishzz-Orrh nahm nur noch die immer näher kommende weiße Fläche wahr, bevor der Aufprall kam, der ihr das Bewusstsein raubte.
Als sie wieder zu sich kam, stieg unwillkürlich der beißende Geruch von verschmorter Elektronik in ihr Riechorgan. Das Alarmsignal röhrte unentwegt und verursachte eine starke innere Unruhe. Warum hörte sie die anderen nicht? Und wieso sah Mutter nicht nach ihr? Sonst ließ sie Mutter so gut wie nie aus den Augen, schließlich würde sie nach Mutter die neue Königin sein.
Nachdem ihre Sinne langsam wiederkehrten und sich die ersten Umrisse der rauchgeschwängerten Kabine langsam in die Eindrücke des Alarmsignals und des Geruchs einfügten, begann Ta’ Rrrishzz-Orrh die Gurte zu lösen. Endlich hatte sie sich befreit. Außer ein paar Prellungen hatte sie nichts abbekommen. Während das Kind sich in Richtung Cockpit bewegte, rief es laut nach seiner Mutter. Doch niemand gab Antwort.
Als die Kleine den Maschinenraum durchquerte, packte sie das Entsetzen. Hier lagen mehrere Arbeiter schrecklich zugerichtet. Offenbar waren durch den Aufprall einige Wände und Maschinenteile derart verbogen oder aus den Halterungen gerissen und dabei quer im Maschinenraum herumgeschleudert worden, so dass sie die Körper der Arbeiter entweder grausam zerdrückt oder einzelne Körperteile abgetrennt hatten. Überall loderten Flammen. Trotz des für Ta’ Rrrishzz-Orrh schrecklichen Anblicks, watete sie mutig durch den Raum des Todes.
Voller Angst erreichte sie nun endlich die Tür zum Cockpit und öffnete sie. Aber auch hier wartete nur Entsetzen auf sie. Ihr Vater, Hazzrr-Irrh, war von einem großen weißen Ding zerquetscht worden, auf das der Raumkreuzer wohl geprallt war und welches jetzt fast bis zur Tür reichte.
Was war mit Mutter?
Da lag sie. In zwei Hälften gespalten – doch noch am Leben. Schnell stürzte Ta’ Rrrishzz-Orrh auf ihre Mutter zu. »Mutter! Was …?« Tiefe Trauer umfing das kleine Mädchen.
»Rrrishzz …«, presste Mutter unter größter Anstrengung hervor, »meine Kleine … Es tut mir leid, wir haben alles … versucht. Ich fürchte, ich kann nicht … länger bei Dir bleiben. Aber du bist eine Königin; wenn du nur stark … bleibst und an dich glaubst, wirst du überleben.«
»Nein, Mutter, das kannst du mir nicht antun. Ich … ich will nicht allein sein. Ich war noch nie allein. Bitte … bleib bei mir.« Doch Rrrishzz wusste, trotz ihres geringen Alters, dass nichts ihre Mutter mehr retten konnte.
»Kleine Rrrishzz … ich kann nicht. Du weißt, dass ich es nicht kann. Und wenn das hier wirklich … alles Eis ist, dann hast auch du nur geringe … Überlebenschancen.« Mutter zuckte vor Schmerz auf und gelbe Flüssigkeit rann aus ihrem Körper. »Ich kann … dir keine Hilfe … mehr sein. Nichts … was ich weiß … kann dir hier …«
»Sprich nicht, Mutter«, unterbrach sie Rrrishzz. »Du musst deine Kräfte schonen. Ich werde draußen nachsehen, ob ich Hilfe finde.«
Doch die Königin versetzte erbarmungslos: »Für mich wird es … keine Hilfe … mehr geben … Du weißt es … Nur eines … kann ich noch … für dich tun. Ich … führe die … Königinnen- … -weihe durch.«
»Das wird dich zu sehr anstrengen. Nein! Ich will deine Kräfte nicht, ich will, dass du bleibst«, schrie Rrrishzz es geradezu heraus.
»Es wird … dir … mehr nützen, als … du von ein paar … Minuten eines … längeren Lebens von mir hättest«, sagte Mutter ernst und bestimmend. Sie war jetzt ganz Königin. »Wenn du überlebst, dann … wirst du diese Kräfte eines … Tages möglicherweise gut … gebrauchen können. Hörst du? Du … wirst dich anstrengen!«
Jetzt begann die Königin ihre letzten Kräfte zu mobilisieren, um das Übertragungsritual durchzuführen. Rrrishzz spürte, wie Mutter in ihren Geist eindrang. Ein fürchterlicher Kopfschmerz befiel sie dabei und sie hätte sich am liebsten in die Flammen des Maschinenraums gestürzt; denn eigentlich war ihr Geist noch viel zu jung und unerfahren für den Ritus.
Dann nahm der Druck auf einmal ab. Ta’ Rrrishzz-Orrh spürte zwar noch den unsäglichen Kopfschmerz, aber das Schlimmste schien überstanden. Doch was war mit Mutter? Sie hatte keine Verbindung mehr zu ihr.
»Mutter?« stieß sie fragend hervor. »Mutter, sag doch etwas. Was …?« Sie fasste nach ihrer Mutter. Nichts regte sich mehr. »Neeeiiiin … nicht! Mutter, lass mich nicht allein!«
Trotz allen Flehens blieb ihre Mutter stumm.
Langsam begriff das kleine Mädchen, nichts und niemand würde ihr mehr helfen können. Rrrishzz war allein. Alle im Maschinenraum waren tot, und auch Mutter und Vater waren nicht mehr. Ihre Mutter hatte sie aufgefordert, um jeden Preis zu überleben. Sie hatte ihr alle Kräfte übertragen. Eines Tages würde sie sie einsetzen können – wenn sie überlebte.
Genau das hatte sie vor, sie wollte überleben. Überleben zum Andenken ihrer Mutter, einer großen Königin und Visionärin. So jung Rrrishzz auch war, wusste sie doch um die Position und Größe, die Mutter einmal in der Gesellschaft ihres Volkes innehatte. Ja, Ta’ Rrrishzz-Orrh wollte unbedingt überleben.
Die Flammen schlugen jetzt auch auf das Cockpit über und zwangen das Mädchen, das Raumschiff über die zertrümmerte Frontscheibe zu verlassen. Sie hatte große Mühe, sich durch die kleine Lücke hindurchzuzwängen, ohne sich dabei an den Scherben zu verletzen. In diesem Fall konnte sie von Glück reden, so klein zu sein, denn ansonsten wäre dies unmöglich gewesen. Die weiße Masse fühlte sich sehr kalt an, und Rrrishzz war jetzt sicher, dass es sich um Eis handeln musste – so wie in den alten Geschichten ihres Heimatplaneten.
Als sie sich endlich bis an die Oberfläche gekämpft hatte, sah sie rundherum nur weiße Fläche. Ihr Körper war buchstäblich eiskalt. Wenn sie wirklich überleben wollte, musste sie schnellstens einen Unterschlupf finden; doch wohin sie auch schaute, nirgendwo gab es etwas, was ihr einen Funken Hoffnung schenken wollte. Finsternis umschloss ihr kleines Herz. Hätte das kleine Mädchen weinen können, sie hätte es wohl in bitterlichster Weise getan.
Mutlos und erschöpft blieb Rrrishzz auf dem Eishügel liegen, während neben ihr die aus dem Raumschiff schlagenden Flammen etwas Wärme spendeten. Aber auch das würde bald vorbei sein.
Ihre Lage schien in der Tat hoffnungslos zu sein.
Während neben ihr der Raumkreuzer im Feuer knisterte, beobachtete Ta’ Rrrishzz-Orrh, wie eine Gruppe undefinierbarer Gestalten auf sie zukam. Auf der weißen Eisfläche erschienen sie nur als unförmige, schwarze Schatten. Das Mädchen war zu schwach, um zu fliehen. Wohin auch? Es blieb ihr keine Wahl, außer abzuwarten, was auf sie zukam. Vielleicht meinte das Schicksal es gut mit ihr und schickte intelligente Wesen zu ihrer Rettung?
Die Gestalten waren nun so weit nähergekommen, dass Rrrishzz sie erkennen konnte. Es waren abschreckend hässliche Wesen. Irgendwie wirkten sie wie Tiere. Nur ihre koordinierte Bewegungsweise und die Art wie sie auf ihre gegenseitigen Laute und Gebärden reagierten ließen darauf schließen, es mit intelligenten Lebewesen zu tun zu haben.
Sie standen jetzt nur noch ein paar Meter entfernt, kamen jedoch nicht näher. Sie waren fast gänzlich behaart und ihre Köpfe besaßen eine ausgeprägte Stirnpartie; die Augen lagen unheimlich tief in den Höhlen und wirkten so auf das Mädchen seltsam bedrohlich. Außerdem konnte Rrrishzz in der Mitte von deren Gesichtern eine merkwürdige Erhebung ausmachen. Es war äußerst schwierig alle auseinanderzuhalten, geschweige denn exakte Merkmale auszumachen, sahen sie sich doch alle ziemlich ähnlich. Auch hatte das Mädchen noch niemals derart fremdartige Arme und Beine gesehen. Jenes, was anscheinend die Arme dieser Wesen darstellte, teilte sich am Ende in mehrere winzig kleine Arme auf. Vom restlichen Körper war nicht viel zu erkennen, da dieser anscheinend von einem extrem dicken Fell umgeben war, das ihn plump und unförmig wirken ließ. Insgesamt erschienen sie dem Mädchen alle recht klein. Besonders die Köpfe wirkten im Verhältnis zum Rumpf unproportional.
Auf keinen Fall konnte man diese Wesen mit der Schönheit und der Eleganz des Volkes von Ta’ Rrrishzz-Orrhs Heimatplaneten vergleichen.
Sieben Gestalten waren es an der Zahl. Wild gestikulierend und sich unschön artikulierend standen sie noch immer an dergleichen Stelle. Da sie Rrrishzz bisher nicht angegriffen hatten, beschloss sie, es mit Kommunikation zu versuchen. Die fremden Wesen würden sie zwar nicht verstehen, aber möglicherweise erkannten sie ebenfalls, es mit einer intelligenten Lebensform zu tun zu haben.
»Bitte helfen Sie mir. Unser Raumschiff ist abgestürzt und alle außer mir sind tot. Ich brauche dringend Hilfe«, sprach sie, schlug sich mit einem ihrer Arme leicht auf die Brust und fuhr fort, »Mein Name ist Ta’ Rrrishzz-Orrh und ich komme von einem fernen Planeten.«
Die sieben behaarten Gestalten verstummten bereits nach dem ersten Laut des Kindes und standen da, als wären sie zu Salzsäulen erstarrt.
»Ich weiß, ihr versteht wahrscheinlich kein Wort, aber …«, das Mädchen schritt mit diesen Worten zwei Schritte auf die Fremden zu.
Da schrien die Wesen erschreckt auf und ergriffen in wilder Panik die Flucht. Rrrishzz machte sich nicht die Mühe, ihnen zu folgen. Es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt.
Sie war hier gestrandet. Hier, in einer Wüste aus Eis. Es bestand keinerlei Überlebenschance, aber Mutter wollte unbedingt, dass Rrrishzz überlebt, also würde sie es versuchen.
Ta’ Rrrishzz-Orrh entschied sich für eine Richtung und beschloss, solange sie Kraft hatte in diese Richtung zu wandern. Entweder stieß sie dabei auf eine für sie wirtlichere Gegend oder sie würde sterben. Wie es auch kommen mochte, sie hätte es wenigstens versucht.
Und so ging die kleine Prinzessin in die Richtung, für die sie sich entschieden hatte, verließ den Rest ihrer Welt, alles, was sie liebte und was je für sie von Bedeutung war.
Zweimal ging die Sonne auf und unter, aber nirgendwo bekam Rrrishzz etwas anderes als Eiswüste zu sehen. Ihr Körper war für so eine Umgebung nicht geschaffen. Durchgefroren, kaum noch einer Bewegung fähig und kraftlos aufgrund zehrenden Durst und Hungers, fiel das kleine Mädchen vornüber in den Schnee. Rrrzishzz war bar jeden Lebenswillens und wollte einfach nur noch liegen bleiben und den Frieden genießen.
Und so schloss die kleine Prinzessin ihre Augen …
Sie träumte von Schneestürmen und seltsamen Kreaturen; schwerfällige Wesen, die genauso grob und behaart aussahen wie die, die sie beim Raumschiff gesehen hatte, nur viel größer. Das Mädchen wusste nicht, ob diese Kreaturen auch intelligent waren, aber immerhin lebten sie anscheinend ebenfalls in kleinen Gruppen. Besonders an ihnen war, dass sie sich auf vier Beinen fortbewegten und ihnen sehr merkwürdige Dinge aus dem Gesicht wuchsen. Ta’ Rrrishzz-Orrh hatte schon in den Gesichtern der anderen Wesen eine undefinierbare Erhebung aus dem Fell hervorragen sehen, doch diese hier erschienen im Vergleich weitaus beachtlicher, da sie extrem lang waren. Eine reichte fast bis zum Boden, während die anderen zwar nach unten, aber am Ende leicht gebogen wieder nach oben zeigten. Unweigerlich musste das Mädchen bei dem einem der Auswüchse an einen Fühler denken, welchen die Kreaturen wohl als Werkzeug benutzen, da sie ihn entsprechend bewegten. Im Gegensatz dazu blieben die anderen langen Fühler unbeweglich und schienen überhaupt starr und fest zu sein. Möglicherweise waren es eher eine Art Dornen, die der Verteidigung dienten.
Die Träume verwischten wieder. Jetzt drangen Bilder von Eismassen auf die kleine Prinzessin ein, die sie umschlossen, und sie sah ihre Mutter. Rrrishzz rief nach ihr, doch Mutter schwieg und bedeutete Rrrishzz stattdessen, ihr nachzufolgen. Das Mädchen tat wie ihm geheißen und lief der Mutter nach.
Plötzlich umgab die kleine Ta’ Rrrishzz-Orrh vollkommene Finsternis.
Noch bevor das Gefühl der Angst nach ihr greifen konnte, vernahm sie die Stimme ihrer Mutter. »Mein Kind, du bist stark geblieben. Ich bin stolz auf dich. Es ermöglicht mir, dich in eine erste Kraftinitiation zu entlassen.
Unser Volk ist von jeher äußerst robust und anpassungsfähig gewesen, doch die Evolution ermöglichte auch die Stärkung unserer Geisteskräfte. Durch sie können wir Materie bis zu einem gewissen Grad beherrschen. Dies soll dir helfen, in dieser aussichtslosen Lage zu überleben.
Du wirst es jetzt noch nicht verstehen. Auch nicht, wenn du wieder erwachst. Eines Tages jedoch, wirst du es.«
»Aber Mutter«, brachte das Mädchen endlich hervor, »bist du es wirklich? Oder bin ich bereits in Nashk-Skalkzzahrr?«
»Nein, meine Kleine, du bist nicht im Großen Unbekannten. Ich bin wirklich hier bei dir und wiederum auch nicht. Besser kann ich es dir nicht erklären. Dennoch, eines Tages verstehst du es«, erklärte die Königin, während ihr Antlitz langsam wieder verblasste.
»Nein, geh nicht schon wieder!«
Aber das Rufen war vergeblich und Ta’ Rrrishzz-Orrh verfiel in den traumlosen Schlaf absoluten Vergessens.
Ja, das war es, woran sich die Prinzessin einige Tage nach ihrem Erwachen erinnerte. Sie verstand nicht, was passiert war, warum sie in einem großen mit glatten Stahlwänden versehenen Raum wieder aufwachte. Alles wirkte kühl und tot auf sie, obwohl der Raum für ihre Bedürfnisse eingerichtet war. Es gab eine Schlafstätte (die keinesfalls mit denen aus ihrer Heimat vergleichbar, aber dennoch ausreichend war), eine Art Hygienekammer, die mit Hyperschallwellen reinigte und eine kleine Öffnung, durch die man ihr ab und an Nahrung zuführte sowie einen Abort.
So konnte Rrrishzz zwar überleben, aber das machte aus dem tristen Gefängnis auch keinen Zaubergarten.
An dem Tag, an dem sich die Prinzessin wieder an die Ereignisse bis zu ihrem Bewusstseinsverlust im Eis erinnern konnte, wurde ihr bewusst, dass sie inzwischen gewachsen war. Es gab keine Spiegel, aber anhand ihrer Körpermaße wurde deutlich: das Erwachsenenalter lag in nicht allzu großer Ferne. Es waren also etliche Jahre verstrichen. Jahre, an die sich Ta’ Rrrishzz-Orrh nicht erinnern konnte. Wahrscheinlich hatte sie in einem Koma gelegen – sie wusste es nicht.
Doch wer hielt sie hier fest? Konnten es diese primitiv wirkenden Fellwesen sein, die sie beim Raumkreuzer getroffen oder etwa jene, von denen sie geträumt hatte? Und versprach Mutter nicht, Rrrishzz würde alles verstehen? Nun, bis jetzt verstand sie gar nichts. Sie unterließ es, Krach zu schlagen, um ihre Gefängniswärter aufzubringen, da sie ohnehin schon durch mehrere Versuche an den Tagen zuvor die Erfahrung gemacht hatte, dass es nichts einbringen würde.
Noch fühlte sich die Prinzessin sehr schwach. Es würde noch einige Tage, vielleicht sogar Wochen dauern, bis sie wieder ganz bei Kräften war und die vollkommene Kontrolle über ihren Körper zurückerlangte.
Die Tage verliefen in quälender Monotonie. Rrrishzz blieb nur, in ihrem Gefängnis auf und ab zu laufen und zu versuchen, sich einigermaßen körperliche Fitness zu verschaffen. Die Klappe, durch die ihr die Speisen gereicht wurden, öffnete sich völlig willkürlich und unberechenbar. Meist passierte es wohl während die Prinzessin ruhte. Offensichtlich hatten ihre Wärter die Möglichkeit, sie genau zu beobachten. Somit kam ein Plan, das Quartier über diese Öffnung zu verlassen, nicht in Frage. Wahrscheinlich hätte Rrrishzz ohnehin nicht durch die kleine, schmale Öffnung gepasst.
Wochen verstrichen und langsam beschlich das Mädchen – sie fühlte sich irgendwie immer noch wie eines – ein Gefühl von Trostlosigkeit. Was wollte man von ihr? Es musste doch irgendwann etwas passieren; der Versuch einer Kontaktaufnahme oder etwas Vergleichbares.
Tatsächlich geschah eines Nachts etwas. (Zumindest war es Nacht nach dem in ihrem Quartier simulierten Tag-Nacht-Zyklus.)
Ausströmendes Gas weckte Ta’ Rrrishzz-Orrh. Sie bemerkte, dass das Gas ihr extreme Atembeschwerden bereitete. Voller Todesangst trommelte sie gegen die Stahlwände ihres Gefängnisses, doch das Gas strömte unbarmherzig weiter aus. Die Gliedmaßen wurden immer schwerer und unbeweglicher, der Wille bei Bewusstsein zu bleiben schwand. Da fiel die Prinzessin zu Boden und wieder einmal in ihrem Leben umgab sie eine dumpfe Finsternis.
Als Ta’ Rrrishzz-Orrh wieder zu sich kam, lag sie noch immer in ihrem Quartier. Sie fühlte sich schwach und hilflos. Ihr Körper schmerzte an verschiedenen Stellen und sie bemerkte, dass man sie wohl operiert hatte. An einigen Stellen sah man noch Einstichspuren sowie Reste einer verhärteten Paste, die man wohl zum Wiederverschließen der Einschnitte aufgetragen hatte. Eine furchtbare Angst befiel die Prinzessin; immer mehr breitete sich das Gefühl aus, nur ein kleines Mädchen zu sein, in den Fängen irgendeiner grausamen Rasse auf einem fernen Planeten. Was sollte nur werden?
Voll des Kummers blieb Rrrishzz auf ihrer Schlafstatt liegen und erhob sich von dort den ganzen Tag nicht mehr, rührte nicht einmal das Essen an, welches ihr die Peiniger durch die schmale Öffnung schoben.
Sie fiel in unruhigen, traumgeschwängerten Schlaf.
In ihren Träumen befand sich Rrrishzz wieder auf ihrem Heimatplaneten. Überall waren die bunten Blumenwiesen, wo stolz hie und da die uralten Bäume aufragten, die mit ihren wirren, knorrigen Ästen und den abstrakten Rindenmustern die Fantasie der kleinen Prinzessin anregten. Ja, in ihren Träumen war sie noch das kleine Mädchen, das voller Übermut und manchmal in unheimlichem, ehrfurchtsvollem Unbehagen zwischen der Herrlichkeit der Natur umhersprang. Wie schön war es doch, von den Blüten zu nippen, den Duft einzusaugen, um sich damit die Sinne zu berauschen. Oder die Schule … All die Geschichten der Vergangenheit, als ihr Volk aus der tierischen Existenz heraus eine höhere Daseinsebene erreichte, um die Herrschaft über den Planeten zu übernehmen, als ein Abbild der großen Göttin. Wie gerne hatte sie diesen Geschichten gelauscht, und wie gerne spielte sie mit ihren Freunden all die unbekümmerten Spiele, die ihr Herz so mit Freude erfüllten …
Und während sie von all diesen Dingen träumte, tauchte mit einem Mal ihre Mutter, die große Ka’ Ezzrih-Orrh, vor ihr auf. »Meine kleine Rrrishzz, du darfst dich nicht verlieren. Hörst du?«
Das Mädchen war erschrocken. Sprach ihre Mutter wirklich zu ihr? Oder träumte sie bloß.
»Rrrishzz, verstehst du mich? Du darfst nicht aufgeben, deine Zeit wird kommen. Meine Kräfte schlummern in dir. Keine primitiven Wesen werden sich dir in den Weg stellen können, wenn du nur Geduld bewahrst«, ertönte Mutters Stimme in sanftem Tonfall erneut.
Endlich erwiderte die kleine Prinzessin: »Ja, Mutter, ich werde es versuchen. Aber diese Kreaturen sind grausam und ich weiß nicht, wer oder was sie sind. Ich vermisse dich. Ich vermisse all die schönen Dinge. Mutter, ich bin so einsam und ich weiß nicht, warum ich weiterleben soll.«
»Ich verstehe dich, mein Liebes. Aber es steckt große Kraft in dir«, versuchte ihre Mutter tröstend auf sie einzuwirken. »Ich habe dich nicht umsonst nach unserer großen Ahnherrin, der Abgesandten der Göttin, benannt, die unser Volk zu einer höheren Existenzebene führte. Du trägst ihren Namen, weil du stark bist und unsere Familie in direkter Linie von ihr abstammt. Als du geboren wurdest, fühlte ich gleich, dass du etwas Besonderes bist.
Mein Liebes, vertraue mir. Meine Kräfte werden eines Tages die deinen sein. Nur werden deine eigenen darüber hinauswachsen. Du musst jedoch stark bleiben, darfst dich nicht gehen lassen.«
Mutters Worte erfüllten Rrrishzz mit großem Mut und Stolz. »Ich werde stark sein und überleben. Ich vertraue dir, sowohl als Mutter als auch als Ka’. Meine Zeit wird kommen.«
»So ist es recht, das ist mein großes Mädchen«, sprach ihre Mutter fast mit einem Lächeln. »Du bist nie allein. Alles, was dein Volk je war und ist, steckt in dir.«
Mit diesen Worten verschwand Mutter wieder aus Rrrishzz’ Träumen.
Am nächsten simulierten Morgen erwachte die Prinzessin und fühlte sich nicht mehr ganz so mutlos wie zuvor. Sie würde nicht klein beigeben, sondern ihren Geist und Körper stark erhalten – so wie sie es Mutter versprochen hatte. Keine Mahlzeit würde sie von nun an auslassen, sondern beharrlich auf die Kräfte des vor vielen Jahren von Mutter zu früh eingeleiteten Initiationsritus warten.
Doch der Weg dorthin sollte steinig werden. Ständig musste Ta’ Rrrishzz-Orrh in den folgenden zwei Jahren die Gas-Prozedur über sich ergehen lassen; und ständig wachte sie mit Entsetzen auf, weil sie feststellen musste, dass man sie offensichtlich untersucht und Experimente mit ihr durchgeführt hatte.
In diesen zwei Jahren träumte sie oft von ihrer Heimat und hielt sich mit der Erinnerung an bessere Zeiten am Leben. Mutter erschien nicht mehr in ihren Träumen, aber Rrrishzz benötigte sie auch nicht weiter, um stark zu bleiben. Sie wusste, eines Tages würden die Würfel für sie fallen. Auf keinen Fall würde sie hier bis zu ihrem Tod dahinvegetieren, als ein Ding, mit dem man Experimente macht. Der Tag der Rache würde kommen.
Tatsächlich wachte die Prinzessin eines Morgens nach diesen zwei Jahren auf und fühlte etwas Sonderbares. Da waren Bilder und Geräusche in ihrem Kopf, die nicht aus ihrem Quartier kommen konnten. Die Bilder, die in Rrrishzz’ Bewusstsein drangen konnten auch unmöglich von ihr selbst stammen, zeigten sie doch Dinge, die sie so nie zuvor gesehen hatte. Allerdings waren die Wahrnehmungen zu verzerrt, um konkrete Vorstellungen zu bekommen, was sie darstellten. Die Stimmen und Geräusche stellten für die Prinzessin genauso ein Kauderwelsch dar wie die Bilder.
Es passierte etwas mit ihr. Die Kräfte der Königin, der Ka’, breiteten sich langsam in der nicht mehr so kleinen Prinzessin, der Ta’, aus. Für Rrrishzz fühlte es sich an wie eine Art Erweckung von etwas, das lange geschlafen hatte. Nicht mehr lange und sie würde über sämtliche Fähigkeiten verfügen.
Rrrishzz wollte etwas probieren. Sie wollte versuchen, die Schüssel, in der sich die Nahrung befand, allein mit ihrem Geist zu bewegen. Die Prinzessin konzentrierte sich … und tatsächlich fing die Schale an zu zittern und schnellte mit einem kurzen Ruck in Richtung auf das Mädchen zu. Jetzt fühlte Ta’ Rrrishzz-Orrh sich nicht mehr wie ein Mädchen; sie wusste, jetzt war sie eine Frau, auf dem Weg zu einer echten Ka’.
Die folgenden Tage waren für die jetzt zur Frau gewordenen Rrrishzz äußerst aufregend; doch leider auch im negativen Sinne; denn ihre Peiniger unterzogen sie an drei Tagen hintereinander der Gas-Prozedur, um wohl wieder einige Tests mit ihr durchzuführen. Jedes Mal, wenn Rrrishzz wieder erwachte, war sie sehr geschwächt. Dennoch ließ sie sich davon nicht unterkriegen. Sie würde schon ihre Zeit bekommen, um die Kräfte gänzlich zur Entfaltung zu bringen.
So geschah es.
Nach unzähligen Versuchen, spielte die einstmals kleine Ta’ mit der Nahrungsschale, ließ sie durch den Raum tanzen und zu ihrem Mund fliegen, um so daraus zu essen. Es bereitete ihr enormen Spaß, ihre Fähigkeiten zu erproben. Nur die verwaschenen Bilder und Geräusche, die sie empfing, konnte sie noch nicht deuten oder unter Kontrolle bringen. Jedoch würde auch das nicht mehr lange dauern.
Wieder nahmen Rrrishzz’ Peiniger mehrere Untersuchungen nacheinander vor. Sie wusste genau, warum. Sie hatte sich dumm verhalten, hatte ihre Kräfte offen zur Schau gestellt. Daran hätte sie denken sollen, die Fremden konnten alles, was sie in ihrem Quartier tat, sehen. Jetzt wollten sie natürlich wissen, was vorging. Rrrishzz musste aufhören, sich in Telekinese zu üben. Ohnehin war es nun nicht mehr nötig, da sie ihre Fähigkeiten dahingehend voll entfaltet hatte.
Jetzt galt es allein, diese anderen Kräfte unter Kontrolle zu bekommen. Mittlerweile hatte die Prinzessin auch eine Ahnung, worum es sich dabei handelte. Augenscheinlich konnte sie die Sinneswahrnehmungen und die Gehirnströme ihrer Peiniger empfangen. Gelänge es ihr, diese Eindrücke zu kontrollieren, wäre es vielleicht auch möglich, direkten Einfluss auf die Fremden zu nehmen. Zwar wusste Rrrishzz nicht, inwieweit die technische Apparatur der Peiniger die zunehmende Gehirnaktivität feststellen konnte, doch bliebe ihr keine Wahl, außer es auszuprobieren. Außerdem stand fest, dass diese Fremden nicht über derartige Fähigkeiten verfügten, denn sonst hätten sie solch primitive Untersuchungsmethoden überhaupt nicht nötig. Bevor sie wüssten, wie ihnen geschieht, wäre es auch schon vorbei.
Jetzt fühlte sich Rrrishzz so kaltblütig, wie es einst ihre Ahnen gewesen sein mussten. Sie würde ihre Rache nicht nur ausüben, nein, sie würde sie genießen.
Ta’ Rrrishzz-Orrh verhielt sich von nun ab äußerst friedlich und wohlgefällig. Während des Tages erprobte sie ihre Fähigkeiten nicht, sondern ausschließlich dann, wenn sie sich zur Nachtruhe hinlegte. Auf diese Weise würden die Fremden – wenn es ihnen möglich war, Rrrishzz’ Gehirnaktivität zu messen – vielleicht den trügerischen Schluss ziehen, es handele sich um Traumaktivität. Schließlich stellte es für die Prinzessin kein Problem dar, den eigenen Körper mit ihrer Geisteskraft zu kontrollieren, sodass sämtliche Funktionen verlangsamt wurden und sie auf diese Weise wie im Tiefschlaf wirken würde.
Offenbar ging ihr Plan auf, denn es wurden nicht mehr Experimente oder Tests mit ihr durchgeführt als normal üblich. Und Rrrishzz’ telepathische Fähigkeiten wurden immer besser. Sie nahm nun deutliche Bilder wahr, indem sie durch die Augen eines der geistesschwächeren Fremden sah. Leider schien dieser des Nachts stets alleine zu sein, wodurch es der Prinzessin nicht gelang, sich ein Bild von ihren Peinigern zu machen. Dennoch, zumindest sah sie dessen Umgebung. Offensichtlich waren diese Wesen erheblich kleiner als das Volk, von dem Rrrishzz stammte. Dies wurde ihr durch die Höhe desjenigen bewusst, durch dessen Augen sie blickte. Des weiteren erkannte die Prinzessin, dass es sich wahrscheinlich um die Kreaturen handeln musste, die sie vor so vielen Jahren bei dem Raumkreuzer gesehen hatte; denn immer, wenn der Fremde die Arme ausstreckte, konnte sie erkennen, wie sie sich am Ende in mehrere Enden aufteilten. Damit bediente er diverse Apparate, deren Anzeigen und Lichter Rrrishzz nicht wirklich verstand. Sie erinnerte sich, ähnliche Dinge als Kind gesehen zu haben. Ein wenig wirkte es auf sie, wie die Computer und elektronischen Geräte aus ihrer Welt – nur sahen diese Apparaturen ziemlich grotesk und primitiv im Vergleich dazu aus. Allerdings durfte sie nicht außer Acht lassen, dass die Geräte nun mal an die körperlichen Attribute ihrer Nutzer angepasst sein mussten.
Während Ta’ Rrrishzz-Orrh sich Nacht für Nacht in dem Gehirn des auserkorenen Fremden aufhielt, entwickelte sie ein Gespür für die Syntax und andere allgemeine Regeln seiner Sprache. Da die Fremden so wie sie selbst in Worten und Bildern dachten, war es für Rrrishzz, durch ihre telepathischen Fähigkeiten sowie des hochentwickelten Intellekts ihres Volkes, ein Leichtes, dies zu tun. Auf diese Weise erfuhr Rrrishzz, dass sie damals, bei ihrer Wanderung durch die Eiswüste, von einer Eisschicht begraben wurde. Die Peiniger hatten sie erst nach ungefähr zwanzigtausend Jahren bei einer Ausgrabung wiederentdeckt.
Zwanzigtausend Jahre …
Die Prinzessin wollte es nicht glauben. Wie war das möglich? Hatte Mutter damals – in Rrrishzz’ Traum im Eis – als sie ihr sagte, es sei ihr möglich, Rrrishzz eine erste Kraftinitiation zukommen zu lassen, damit das kleine Mädchen in der aussichtslosen Lage überleben würde, das gemeint? Sprach sie nicht von den Kräften des Geistes, mit denen ihr Volk in der Lage sei, Materie bis zu einem gewissen Grad zu beherrschen?
Das musste einfach die Lösung sein, denn ansonsten hätte Rrrishzz weder das Eis noch die zwanzigtausend Jahre überstanden.
Was sollte aus ihr werden, wenn sie sich aus ihrem Gefängnis befreit hatte? Alle, die sie kannte, waren längst tot. Hier hatte sie keine Freunde, keine Artgenossen. Ta’ Rrrishzz-Orrh befand sich in einer feindlichen Welt, wo die dem Anschein nach einzige intelligente Lebensform, die existierte, Jagd auf sie machen würde, weil sie sie für eine Bedrohung hielt.
Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, stürzte ihr Geist serpentinenartig nach unten in ein Kaleidoskop aus Farben. Während Rrrishzz fiel, hörte sie unzählige Stimmen; Stimmen aus der Vergangenheit ihres Volkes, von Personen, die sie nie kennengelernt hatte; Stimmen, die ihr erzählten, sie kämen aus der Zukunft und sie, Rrrishzz, sei die Vergangenheit.
Es war ein einziges Tohuwabohu …
… als plötzlich der Fall ein Ende nahm und Rrrishzz von gleißendem Licht umgeben war – überall nur gleißendes Licht. Die Prinzessin nahm dazuhin noch ein Pulsieren wahr. Das Licht pulsierte! Da tauchte ein kleiner dunkler Fleck auf. Sie konnte nicht sagen, ob er weit entfernt lag oder direkt vor ihr, da das alles umgebende Licht jedwedes Gefühl für Dimensionen raubte.
Langsam wurde der Fleck größer. Immer größer.
Nahm der dunkle Fleck jetzt eine Form an?
Ja, tatsächlich nahm Rrrishzz jetzt die Umrisse von Mutter wahr. Mutter kehrte wieder zu ihr zurück. Jetzt stand sie direkt vor ihr.
»Kleine Rrrishzz«, sagte sie, »du zweifelst wieder. So ist es ein weiteres Mal an mir, dir Mut für den Weg deiner Bestimmung zu machen.«
»Mutter, wie schön dich zu sehen«, brach es unverhohlen aus Rrrishzz hervor.
»Du verstehst noch immer nicht, dass ich es nicht wirklich bin. Aber das macht nichts, so lange es für dich tröstlich ist«, gab die ehemalige Ka’ zurück. »Sagte ich dir nicht, von welcher Linie du abstammst? Du darfst für dich nicht nach eigener Erlösung suchen, du musst dein Volk erlösen.«
»Aber Mutter, wie kann ich das? Unser Volk ist nicht hier. Ich bin seit zwanzigtausend Jahren …«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen«, herrschte Mutter sie plötzlich an. »Vergiss nicht, ich bin ebenso du. Es bleibt keine Zeit, dies alles jetzt und hier zu verstehen. Überlebe weiter, befreie dich! Dann wirst du es wissen. Vertraue mir. Vertraue deinen Ahnen und besonders unserer Göttin und dem Großen Unbekannten, Nashk-Skalkzzahrr!«
So langsam wie sich ihre Mutter als dunkler Fleck genähert hatte, so schnell verschwand sie nun wieder. Rrrishzz blieb gerade noch Zeit für ein: »Warte, ich …«
Doch Mutter war vollkommen verschwunden.
In diesem Moment begann die Reise durch das bunte Kaleidoskop erneut, bloß ging es dieses Mal serpentinenartig nach oben. Dort angekommen umgab die Prinzessin nun vollkommene Schwärze.
Ein weiterer künstlicher Morgen brach in Rrrishzz’ stählernem Gefängnis an. Sie erwachte und verwunderte sich über die Erinnerungen der letzten Nacht. Das meiste davon ließ sie nur mehr im Dunkeln tappen. Doch was blieb ihr denn schon, außer den Erinnerungen an bessere Zeiten, die Träume der Ahnen und den Fantasien über Mutter? Das war ihre Welt, alles, was sie seit der Zeit des Absturzes auf diesen fremden, unfreundlichen Planeten kannte. Machte es denn einen Unterschied, ob man sein Leben auf sogenanntem real Erlebten aufbaute oder auf den Ausgeburten der Fantasie? Am Ende würde doch nur das Ergebnis stehen, und sie würde nicht wissen, wie dieses Ergebnis aussähe, ohne die Fährnisse, die sie dorthin brächten, zu meistern. Also fasste Ta’ Rrrishzz-Orrh ein weiteres Mal in ihrem Leben den Entschluss, zu überleben. Sie wollte hier herauskommen, um zu sehen, was in der Freiheit auf sie wartete, zu erfahren, was ihre Bestimmung war.
Des Nachts drang sie wieder in das Bewusstsein ihres gewohnten Opfers ein. Dessen Gedanken kreisten gerade um die Auswertung einiger Daten, die Rrrishzz betrafen. Den Fremden schien die Aufschlüsselung der Gen-Struktur der Prinzessin zu verwirren, erbrachte sie doch, dass dieses für ihn vollkommen fremde Wesen tatsächlich von diesem Planeten stammte. Zwar gab es diverse unerklärliche Abweichungen bezüglich einiger Schlüsselsequenzen, dennoch sei es zweifelsfrei hier entstanden.
Das verwirrte nicht nur ihn, sondern warf Rrrishzz gleichfalls vollkommen aus der Bahn. Das konnte unmöglich sein. Schließlich war ihr die Spezies dieser behaarten Fremden gänzlich unbekannt. Und laut der Forschung der Wissenschaftler ihres Heimatplaneten sowie den Legenden ihres Volkes, gab es seit mehr als dreißigtausend Jahren keine derart großen Eisgebiete mehr, wie sie Rrrishzz kurz vor der Notlandung des Raumkreuzers gesehen hatte.
Während die Prinzessin noch darüber nachdachte, folgte sogleich die nächste schreckliche Erkenntnis. Das Raumschiff hatten diese Wesen auch entdeckt und untersucht. Die Materialien, mit denen es gebaut wurde, stammten bis auf einige Ausnahmen, ebenfalls alle von jenem unwirtlichen Planeten, auf dem sich die Prinzessin momentan befand. Des weiteren wiesen diese Materialien relative Verzerrungen auf atomarer und subatomarer Ebene auf; die Analyse ergab, dass das Raumschiff ungefähr dreißigtausend Jahre in der Zukunft gebaut worden war.
Jetzt erinnerte sich Ta’ Rrrishzz-Orrh an die Stimmen ihrer letzten Vision. Sie sagten, die Prinzessin sei in der Vergangenheit. Zuerst verstand sie es nicht, hielt es für wirre Visionseindrücke, aber jetzt … Dann hatten die Defekte an dem Raumkreuzer sie also zurück in die Vergangenheit ihres eigenen Heimatplaneten gebracht. In der Schule lernte Rrrishzz, dass eine Reise mit Hyperlichtgeschwindigkeit ohne die schützende Hyperblase, diese Folgen haben konnte. So musste das also alles zustande gekommen sein. Doch was war dabei ihre, Rrrishzz’, Bestimmung?
Sie beschloss, es herauszufinden.
Die Prinzessin drang nun tiefer in den Geist der fremden Lebensform ein, um ihn zu manipulieren. Ob sie dabei einige Hirnfunktionen schädigte, aufgrund der telepathischen Inkompatibilität, war ihr gleich. Diese Kreaturen hatten ihr genug angetan, sodass man solch ein Verhalten rechtfertigen konnte. Rrrishzz befahl dem Fremden, das Biest – wie die abscheulichen Kreaturen sie betitelten – zu befreien. Und der Fremde gehorchte. Er ging durch die Labortür und kam dabei auf einen langen Flur, der sich nach links und rechts gabelte. Er ging links entlang. Nach ein paar Schritten kam ihm ein Kollege entgegen, der von Kopf bis Fuß in einer Art weißem Anzug steckte, wo sich in Kopfhöhe eine glatte, undurchsichtige Fläche befand. Möglicherweise jedoch sahen diese Wesen jetzt so aus, schließlich mussten sie ja auch eine Art Evolution durchgemacht haben, seit der Zeit vor zwanzigtausend Jahren. Jedenfalls stellte der Kollege keine Fragen, sondern hob nur den Arm zum Gruß. Rrrishzz ließ den von ihr kontrollierten Fremden ebenfalls den Arm zum Gruß heben.
Jetzt hatte er den Bereich, wo sie gefangen gehalten wurde, erreicht. Es galt nur noch einen Zahlencode in eine dafür vorgesehene Vorrichtung einzugeben – welchen die Prinzessin leicht aus seinem Gehirn hervorzuholen wusste – und schon würde er dort sein, wo er die schwere Tür ihres Gefängnisses öffnen könnte.
Doch da ertönte plötzlich eine Stimme. »He, halt! Sie dürfen da nicht rein! Was machen sie hier überhaupt?«
Der Unbekannte steckte in einem schwarzen, glänzenden Anzug und trug eine ebensolche Kopfbedeckung, die wiederum ein glattes, zu einer Seite undurchsichtiges Sichtfenster besaß. Zumindest wusste Rrrishzz nun, dass es sich tatsächlich um unterschiedliche Kleidung handelte. Keineswegs wollte sie jedoch den Worten dieses Wesens Folge leisten. Sie ließ den von ihr manipulierten Fremden weiter auf die Vorrichtung für die Codeeingabe zugehen.
Der schwarzgekleidete Fremde hielt plötzlich etwas von seinem Körper weg und befahl: »Sofort aufhören, oder ich schieße! Machen sie sich nicht unglücklich, Mann.«
Nachdem Rrrishzz diesen Befehl ignorierte, schoss der schwarze Fremde. Sie spürte im linken Bein einen Schmerz in der von ihr manipulierten Kreatur. Keine Gnade, sie wollte hier raus. Also ließ sie den Code vollständig eingeben.
Der andere schoss erneut und traf dieses Mal in die Brust des Manipulierten, welcher daraufhin zu Boden fiel. Der Schwarzgekleidete ging auf den Gefallenen zu und beugte sich herunter.
Die Prinzessin war außer sich. So durfte es nicht enden. Sie hatte keine Zeit, sich auf einen neuen Geist einzustellen, sie musste es weiter versuchen. Der Gefallene zeigte noch Gehirnaktivität, also war er weiter nutzbar. Dies setzte Rrrishzz in die Tat um. Sie ließ ihn seine Armenden ausstrecken und um den Hals des vornübergebeugten Schützen greifen. Wie einen Schraubstock verstärkte sie den Griff und ließ dabei den Gefallenen gleichzeitig aufstehen. Der Schütze zappelte wild und versuchte verzweifelt den Griff zu lösen, doch gegen die konzentrierte Geisteskraft der Prinzessin hatte er keinerlei Chance. Nachdem er in einer letzten Zuckung verendete, befahl sie dem Manipulierten, den Code zu bestätigen. Dies getan, schritt er in den entscheidenden Raum.
Überall waren Anzeigen, blinkten Lichter, gab es Eingabefelder und Tastaturen. Der Manipulierte fiel plötzlich wieder zu Boden. Offenbar würde auch bald die letzte Gehirnaktivität verlöschen, wodurch er für die Prinzessin nicht mehr zu gebrauchen wäre. Mit großer Anstrengung mobilisierte sie noch einmal all ihre telepathischen Kräfte. Es klappte, der Fremde stand wieder auf. Rrrishzz musste jetzt schleunigst einen Weg zum Öffnen der Tür finden, wozu sie das Bewusstsein des Manipulierten nach einer möglichen Logik der Anordnung der Schaltafeln durchsuchte. Binnen Sekundenbruchteilen fand sie diese und steuerte den Halbtoten auf das Codeeingabefeld zu. Mithilfe ihres Geistes, gab die Prinzessin durch den manipulierten Peiniger den Code 4-A-O-7-9-G-1 ein … Der Fremde fiel zu Boden.
Die Verbindung war nun endgültig unterbrochen. Sollte Rrrishzz auch nur irgendetwas übersehen haben, ging hiermit wohl ihre vorerst letzte, wenn nicht einzige Chance dahin.
Da – ein Ruckeln in der Stahlwand. Es rumpelte. Sie hatte es geschafft, die Tür öffnete sich.
Ta’ Rrrishzz-Orrh war frei. Nach so vielen Jahren hatte sie es endlich erreicht, aus diesem Gefängnis mit den Stahlwänden herauszutreten. Es galt nun, auch aus dem Gebäudekomplex zu entkommen. Aufgrund ihrer voll wiedergewonnen Kräfte sollte auch dies kein Hindernis mehr darstellen.
Sie trat durch die Tür. Dort lag der kürzlich verendete, von ihr manipulierte Fremde. Rrrishzz wollte die Gelegenheit nutzen, die Kreatur näher in Augenschein zu nehmen. Er hatte eine Art weißen Umhang an, mit einem kleinen Schild auf der linken Brust. Behaart war er nur am Kopf, der restliche Körper schien frei von Haaren oder Fell zu sein. Seine Haut war leicht rosig und wirkte auf Rrrishzz nicht gerade widerstandsfähig. Die Erhebung im Gesicht diente wahrscheinlich der Atmung und stellte wohl auch das Riechorgan dar. Seitlich hatte der Tote knorpelartige Wülste. Rrrishzz erinnerte sich, in der Schule einmal gelernt zu haben, dass manche Tierarten so etwas wie äußere Ohrmuscheln besaßen. Sie kannte das nur von ihren Zoobesuchen vor langer, langer Zeit. Dadurch, dass der Fremde nicht über und über mit Fell bedeckt oder umhüllt war wie diejenigen damals im Eis, erkannte die Prinzessin, dass diese Kreaturen sich offensichtlich nur auf zwei Beinen fortbewegten. Flügel besaßen sie anscheinend auch keine.
Endlich fiel der Prinzessin dieses unangenehme Geräusch auf, welches schon die ganze Zeit über zu hören war. Sie mutmaßte, es müsse eine Art Alarmsignal sein. Es gab keine Zeit mehr zu verlieren. Glücklich darüber, sich die Jahre über die Fitness erhalten zu haben, flog Rrrishzz durch den Gang. Ihre Vorfahren konnten alle fliegen, aber im Zuge der Evolution blieb diese Fähigkeit ausschließlich den ausgewachsenen Königinnen vorbehalten. Nun, da sie eine erwachsene Königin war, konnte sie ihre Flügel in vollem Umfang nutzen. Auch wenn der Gang nicht viel Platz dafür hergab, so war es doch weit schneller als zu laufen.
Sie war jetzt nicht mehr Ta’, jetzt war sie Ka’ Rrrishzz-Orrh; und sie würde jeden Angreifer gnadenlos vernichten.
Die ersten tauchten schon vor ihr auf. Es war ein Trupp dieser schwarzgekleideten Wesen. Offenbar waren sie die Soldaten in deren Gesellschaftssystem. Sofort setzte die Königin ihre telekinetischen Kräfte frei und wirbelte den gesamten Trupp mit aller Gewalt durch den kompletten Gang, bis sie mit voller Wucht an der hinteren Wand aufschlugen.
Sie flog weiter.
Der nächste Trupp erschien, den das gleiche Schicksal ereilte. Rrrishzz flog rechts um die Ecke und sah vor sich keine Stahlwand mehr, sondern ein großes Panoramafenster, durch das man eine kleine Parkanlage und den blauen Himmel sehen konnte. Ja, das war der Himmel, den die Königin kannte. Dieses Fenster musste sie zerstören und die Freiheit würde ihr gehören. Die Kreaturen in der Parkanlage brachen beim Anblick der Königin in Panik aus. An der Art, wie sie das taten, erkannte Rrrishzz deutlich, es mit genau derselben Art Wesen zu tun zu haben, wie vor zwanzigtausend Jahren im Eis. Sie waren bloß weniger behaart.
Plötzlich trat ein vereinzelter Soldat um die Ecke, den sie nicht gleich bemerkte. Das gab ihm Gelegenheit mit seiner Waffe auf sie zu feuern. Vor Schmerz heulte Rrrishzz auf und hackte wütend mit ihrem rechten Vorderarm, der rasiermesserscharfe Zacken besaß, auf den Angreifer ein, was ihm augenblicklich den Kopf vom Rumpf trennte. Gelbe Flüssigkeit trat aus der Schusswunde im oberen Teil ihres Körpers. Ihr blieb keine Zeit für Schmerz, sie musste das Fenster zerstören, um endlich davonfliegen zu können. Ihre Kräfte mochten für die verstärkten Stahlwände nicht ausgereicht haben, hierfür jedoch würden sie genügen.
Erneut konzentrierte sich die Ka’ und nach kaum einer Sekunde zersprang das Panzerglas. Mittlerweile war die gesamte Parkanlage leergefegt. Ohne weitere lange Überlegungen, erhob sich Ka’ Rrrishzz-Orrh in die Lüfte, dem Himmel entgegen.
Von hier oben sah sie, dass der Gebäudekomplex mitten in einer großen Sandwüste angelegt worden war. Sie musste alsbald einen Unterschlupf finden, da sie mit ihrer Verletzung nicht lange würde kämpfen können, sollte weitere Verstärkung eintreffen. Durch ihre Facettenaugen war es Rrrishzz möglich, Veränderungen in den Farben der gespiegelten Luft weiter im Süden wahrzunehmen. Hier konnte eventuell ein Ort sein, der sie in eine günstigere Ausgangsposition versetzen würde. Also flog sie los.
Und was sie dann sah, erfüllte Rrrishzz mit sagenhaftem Schrecken. Sie traf auf eine Stadt. Dort erhoben sich quaderförmige Bauten in den Himmel und schmutziger Nebel umwallte den Ort. Merkwürdige lange, graue, nicht natürlich aussehende Gebilde liefen auf die Stadt zu bzw. von ihr weg. Darauf bewegten sich irgendwelche Kisten in allen möglichen Farben, die übelriechende Gase in die Luft entließen.
Da dämmerte es Ka’ Rrrishzz-Orrh. Das musste eine Stadt aus den alten Legenden ihres Volkes sein. Hier hausten die Affendämonen, die mit ihrem grausamen Gott einst den Planeten beherrschten und die Göttin und ihr Volk unterdrückten. Also waren all die alten Geschichten wahr … Sie hatte nie wirklich daran geglaubt, aber alles entsprach genau den Beschreibungen. Erst als die sagenumwobene Ka’ Rrrishzz-Arrz von der Göttin gesandt wurde, änderte sich alles.
Die Schmerzen nahmen jetzt überhand und zwangen Rrrishzz zur Landung. Sie suchte sich ein unberührtes Plätzchen auf einer Wiese nahe eines Waldes und landete.
Während die Königin sich in Schmerzen wand, wurde ihr klar, sie würde nicht überleben. Schlagartig schossen Rrrishzz die letzten Visionen und das, was ihre Mutter ihr dabei gesagt hatte, durch den Kopf. Mutter hatte gesagt, Rrrishzz würde ihre Bestimmung erkennen.
Da wurde Ka’ Rrrishzz-Orrh klar, was sie zu tun hatte. Deshalb war sie hierher geschickt worden, sie musste ihrem Volk die Kraft bringen, damit es den Planeten von den Dämonen zurückfordern konnte. Lag sie nicht auf einer Wiese? Sofort ließ die Königin ihren Blick schweifen und sah zahllose ihrer Urahnen, die alle noch winzig klein waren. Voll Glücksgefühl stimmte Rrrishzz nun in ihren Todesqualen die Gesänge der Altvorderen an; und schon summte eine ihrer Ahnen, zweifellos auch eine Königin, das fühlte Rrrishzz, auf sie zu. Ka’ Rrrishzz-Orrh nahm noch einmal ihre ganze Kraft zusammen, stimmte erneut den Höheren Gesang an und leitete das Initiationsritual ein. Die andere kleine Königin mit dem schwarz-gelb gestreiften Panzer summte weiter rhythmisch mit. Die große Anstrengung forderte ihren Tribut, denn unbarmherzig quoll weitere gelbe Flüssigkeit aus Rrrishzz’ Wunde. Doch sie vollendete unter Aufbietung allen Willens das Ritual.
»Du wirst zwar klein bleiben«, sprach die sterbende Königin, »aber du wirst meine Kräfte und Gene besitzen. Deine Nachkommen werden eines Tages den Planeten erobern und sie sollen dich als Ka’ Rrrishzz-Arrz in Erinnerung behalten.«
Dann starb die Königin, die einstmals das kleine Mädchen, die kleine Ta’ Rrrishzz-Orrh gewesen war.
Ende
© Sascha Besier
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